Laudatio Rhona von Thomas Krempke

I’m excited
Laudatio Rhona Mühlebach , anlässlich des Preisverleihung des Adolf Dietrich Förderpreises, Kunstraum Kreuzlingen, 4.Dezember 2021
Wir sehen eine Parklandschaft. Vögel sind zu hören. Und dann eine Stimme, die uns erzählt, dass das der Queens Park sei und dass sie, die uns das erzählt, Krähen treffen wolle – obwohl es eigentlich eine dumme Idee sei, Krähen treffen zu wollen.
Es ist die Stimme Rhona Mühlebachs in einer ihrer ersten Videoarbeiten, „To get in Touch with Crows“, die uns, ähnlich dem Kommentar einer Fernsehdokumentation, erklärend in den Film einführt. Der Klang der Stimme hat etwas Distanziertes, Zurückhaltendes, als ob sie nicht sicher sei, uns die Geheimnisse ihrer Welt wirklich offenbaren zu wollen. Es ist eine leicht irritierende Stimmlage.
Statt Krähen begegnen der Frau aber vorerst nur Spatzen und sie fragt sich, ob sie Gefühle haben sollte: „Should I get emotional about that?“. Spätestens jetzt haben wir erste Zweifel ob des dokumentarischen Charakters des Filmes. Die junge Frau, die Stimme, Rhona Mühlebach… ? – ja, wer eigentlich? – erzählt uns nun, dass sie endlich mit den Krähen ins Gespräch gekommen sei. Dabei habe sie erfahren, dass Krähen Drogen nähme. Und das habe sie erstaunt. Aber dann doch nicht, denn es sei ja so einfach, Drogen auf der Strasse zu bekommen. Und zur Tatsache, dass sie mit den Krähen reden kann, meint die Stimme nur trocken: „I’m excited!» – Damals offenbar noch im Repertoire der Künstlerin.
Später gerät die Erzählerin in einen Kampf mit einer Krähe, wiederum eine andere Krähe rät ihr, Antibiotika zu nehmen um die Verletzungen zu kurieren. Und eine dritte erzählt, sie habe früher Pizzas gebacken um kurz darauf auf den Knien der jungen Frau einzuschlafen. Das alles wird uns im trockenen Tonfall eines Erlebnisberichtes erzählt, wie in einem Dokumentarfilm eben. Aber uns ist ja schon lange klar: das kann so nicht passiert sein, das ist erfunden, Fiktion. – Oder doch nicht? Was, wenn uns die junge Frau die Wahrheit erzählt, sie klingt ja überzeugend und aufrichtig, gar nicht wie eine Lügnerin. Ihr Tonfall hat etwas Objektives, Distanziertes, wie der einer Wissenschafterin. Auch dann, wenn sie erzählt, dass sie einer weiteren Krähe begegnet sei, einer, die meinte, sie sei ein Adler…
Unterbrochen sind diese Erzählungen mit körnigen, bläulichen Bildern von Krähen im und über dem Park – Bilder, wie als Beweis, dass sich alles so zugetragen hat. Genau so! Dabei sehen die Aufnahmen aus, wie Kindheitserinnerungen auf Super-8 Film.
Wem sollen wir also glauben? Den Bildern, den Worten? Und wo sind wir eigentlich? Rhona Mühlebach hat uns unmerklich in eine Welt entführt, die es auf diese Art und Weise gar nicht gibt, nie gegeben hat, und die uns doch erstaunlich bekannt vorkommt. Wie in einem Traum, bei dem wir glauben, ihn schon einmal geträumt zu haben. Denn die Künstlerin präsentiert uns ihr Universum mit einer Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit, mit einer sicheren Geste, dergestalt, dass all unsere Zweifel verschwinden und wir uns verführen lassen in ihr Universum – bis sie uns mit einem Augenzwinkern wieder wachrüttelt, schmunzeln lässt und uns in eine neue, uns unbekannte Richtung führt. So auch am Schluss von „To get in Touch with Crows“: Plötzlich ist die junge Frau, die Stimme
wieder allein, denn die Krähen sind misstrauisch geworden. Sobald die Kamera aufgestellt wird, fliegen sie davon und lachen über die Erzählerin – und über uns. Es scheint wirklich eine dumme Idee gewesen zu sein, Krähen treffen zu wollen.
Schon in dieser frühen Arbeit aus dem Jahre 2016 tauchen die meisten Themata ihrer späteren Werke auf: Die Anlehnung an das Wissenschaftliche, den Dokumentarfilm oder an die Tierfilme im Fernsehen. Dieser sehr ungewöhnliche Dialog zwischen Mensch und Natur, wo die Menschen (meist sind es Frauen) auf der Suche nach Antworten immer etwas verloren wirken. Dann die Tiere, die wie in der Fabel als Projektion des Menschlichen dienen und die Natur als Projektionsfläche unserer inneren Zerwürfnisse und Fragen. Immer wieder werden dabei unsere Gefühle in Frage gestellt, wird der Stellenwert unserer Gefühle hinterfragt.
Und von allem Anfang an ist in ihrem Werk diese schwebende, nicht leicht zu fassende Ironie zu spüren, der trockene Humor und Witz, diese Selbstironie, die uns immer wieder darüber nachdenken lässt, ob die Künstlerin das nun ernst meint oder nicht? Dabei werden wir immer wieder getäuscht in diesem Vexierspiel: was auf den ersten Blick todernst scheint, wird ins Ironische gedreht und was wie ein Witz klingt, erscheint auf einmal ernst.
Es ist ein flirrendes, schillerndes Spiel… oder nein, eigentlich kein Spiel, spielerischer Ernst vielleicht, oder tiefe Überzeugung mit gleichzeitiger Offenheit. Denn es könnte ja alles auch anders sein, anders als es auf den ersten Blick erscheint. Vielfältiger! So vielfältig wie die Künstlerin Rhona Mühlebach selber, die sich in den verschiedensten Rollen zeigt: Als Wissenschafterin in perfektem Französisch, als Krähenflüsterin im Park, ja bald selbst als krächzende Krähe in einer Live-Performance mit Orchester. Aber auch als Kommissarin, als Fernsehmoderatorin im Tauchanzug, als Taucherin und professionelle Schwimmerin, oder als einfache Spaziergängerin mit Hund. Und in der hier ausgestellten Arbeit als Stimme eines Wildschweines…
Rhona Mühlebach scheint Freude daran zu haben, in unterschiedliche Rollen zu schlüpfen, verschiedene Positionen einzunehmen und mit verschiedenen Stimmen zu sprechen. Sie ist eine agile Erzählerin, die dabei auch immer wieder über das Erzählen nachdenkt, innehält und die Dinge aus einer neuen Perspektive zu betrachten versucht. Für ihre Methode braucht die Künstlerin selber die Wortschöpfung Fabulation, in Anlehnung an die Fabel, in der Tiere die Träger menschlicher Gedanken sind, aber auch ans Fabulieren, Erfinden… und sie sagt: „Fabulation ist die Darstellung von imaginären Tatsachen als reale fakten. Wahrheit wird von imaginären Charakteren erforscht. Fiktive Wahrhaftigkeit überrascht.“
Doch wie erarbeitet sich Rhona Mühlebach diese Fabulation, diese Darstellung des Imaginären? So leicht und manchmal sogar unterhaltsam wie ihre Videos wirken, so präzis und genau sind sie erarbeitet und vorbereitet: Rhona ist eine Künstlerin, die mit den Mitteln des Filmes arbeitet. Sie schreibt ein Skript mit allen Dialogen, ja mit allen Liedertexten, die im Film vorkommen sollen Sie sucht sich die SchauspielerInnen, die Drehorte für ihre sehr präzise Aussagen. Sie arbeitet intensiv am Bild und am Ton – ja, der Ton… Ihre Filme sind ohne die akribische und füllende Tonarbeit nicht zu denken – sie ist von grosser Wichtigkeit und verleiht den Videos jene Leichtigkeit und Kohärenz, jenes ganz spezifische Funktionieren, jenen Charakter von Distanz und Nähe zum Geschehen, der den Werken von Rhona Mühlebach eigen ist.
Wer spricht da eigentlich? Ist es die Autorin? Oder ist es eine Figur aus dem Film? Ist es gar unsere eigene Stimme, die wir da hören? Die Identifikation mit den Figuren, normalerweise der Hauptmotor
eines jeden Kinofilms, findet in Rhona Mühlebachs Filmen nur für kurze Momente statt. Und oftmals ist es gerade der Ton, der uns die erneute Distanz zu den Figuren verschafft: eine andere Stimme zum Beispiel, oder ein plötzlich einsetzender Chor, wie in einer griechischen Tragödie, oder eine Filmfigur, die den Off-Kommentar unverhofft im On zu Ende führt.
Ihre Videoarbeiten sind ein virtuoses Spiel mit den Ausdrucksmitteln des Kinos – und doch wollen sie nicht einfach Kino sein, sondern ein Erlebnis über die Fläche der Projektion hinaus, installativ zuweilen, wie hier in der Ausstellung, wo die Ebenen von Bild und Sprache auseinandergenommen werden und sich erst in unseren Köpfen wieder zusammensetzen können. Und nicht nur das: ein Gegenstand aus der Realität des Filmes, der rote Sack mit dem body dust der ermordeten Frau, erscheint real hier an Ort, nur ohne „dust“. Auch dies ein augenzwinkerndes Spiel mit den Realitäten und dem Imaginären…
Und wenn ich von Arbeit wie beim Film spreche, dann muss auch eine weitere Seite Rhona Mühlebachs erwähnt werden, ihre Fähigkeit zur Zusammenarbeit, ihre Fähigkeit sich auszutauschen, künstlerisch und inhaltlich – und sich so zu überprüfen und weiter zu entwickeln. Eine Fähigkeit, ohne die ein komplexes Werk wie die vorliegende Videoarbeit nicht möglich wäre. Und so möchte ich an dieser Stelle auch die anwesende Künstlerin Holly Mclean, Produzentin und Kostümbildnerin sowie den Komponisten und Tongestalter William Aikman erwähnen, mit welchen Rhona Mühlebach seit Jahren zusammenarbeitet und die Produktionsgesellschaft Long Chair Production gegründet hat.
Kunst oder Kino, oder Kino oder Kunst, ihre Filme sind in beiden Bereichen zu Hause und das macht ihren speziellen Charakter aus, sie finden ihren Platz an Filmfestivals und in Kunstausstellungen. Das Spiel mit den Erwartungen, mit den Vorstellungen, unseren Vorstellungen, funktioniert an beiden Orten…
Wie im Video „Sudden Death“, wo unsere vorgefassten Bilder ständig hinterfragt und auf den Kopf gestellt werden. Der Film beginnt in einer mystisch aufgeladenen Landschaft, einem dunklen Wald in Schottland, einem Märchenwald, in dem sich die Figuren unserer Kindheiten verlaufen haben mögen – doch dem Gefühl von Melancholie können wir uns nicht hingeben, wir werden von einer schrillen Stimme mit der banalen Frage unterbrochen: „How are you?“ um kurz darauf mit der trockenen Antwort, einer Kommissarin, gespielt von der Künstlerin, in eine neue Art von Alltagspoesie geführt zu werden: „Meine Hoffnung beschränkt sich auf das Frühstück“. Es geht in Mühlebachs Filmen oft um das Fühlen und um Gefühle. Es geht um die Frage, was man denn fühle, und ob die Gefühle die angemessenen, die richtigen seien, ja, ob man ihnen überhaupt trauen könne, den Gefühlen. Doch die Antwort bleibt offen, und es scheint uns, dass wir im Universum der Künstlerin das Vertrauen in unser Fühlen immer wieder neu erschaffen müssten…
Wenig später werden wir im selben Film mit traumähnlicher Musik auf eine Fahrt durch schottisches Hochmoor in der Dämmerung mitgenommen, der Himmel ist schon tief blau und die Landschaft kaum mehr zu erkennen. Es stellt sich bei uns eine hoffnungsvolle Verlorenheit ein, der Traum vom Reisen… Doch, SCHNITT: Die Musik bricht ab, wir sehen wie eine Ziege ihren Kopf durchs einen Zaun stecken will, immer wieder, und wir haben Angst, dass sie im Geflecht des Metalldrahtes hängen bleibt. Es tut uns fast schon weh hinzusehen. SCHNITT: Vögel schweben über einem Feld, man hört ihren sanften Flügelschlag. SCHNITT auf eine reifbedeckte Graslandschaft – unberührte Natur, vielleicht. Und dann die krächzende Stimme aus einem Walky Talky: „Would you describe the place where you are as wild?“
Nach all den unterschiedlichen Gefühlen auf einmal diese komisch wirkende Frage – die uns aber trifft, tief trifft: Was ist Natur? Wer sind wir in dieser Natur? Und die Antwort der Filmkommissarin (alias Rhone Mühlebach): „I don’t know.“ – So wie wir als Zuschauer es auch nicht wissen. Und dann die letzte Frage des Filmes auf die schwindende Hoffnung zu Beginn anspielend: „Would you like to have breakfast?“. Der trockene Humor der Künstlerin meldet sich einmal mehr – zum Glück – und treibt uns allfällige Romantizismen, Gefühlsduseleien, Sicherheiten und Mystifizierungen auf der Stelle wieder aus.
„I don’t know.“ – Ich weiss nicht! – Rhona Mühlebach hat mir in einem Gespräch erzählt, dass ihr aufgefallen sei, wie viel Teilwissen wir hätten, von vielem, auch von der Wissenschaft. Sie nennt das „dinner party knowledge“, Konversations-Wissen, könnte man auf Deutsch sagen, gerade mal genug, um zu plaudern… Vielleicht geht es vor allem um diese Fragen: Was wissen wir? Von der Natur, von der Welt? Und was wissen wir nicht? Und: Kennen wir unsere Gefühle? Was wissen wir von ihnen? Gibt es ausgestorbene Gefühle?
Damit möchte ich zum Schluss dieser Laudatio kommen. Auf ihr neuestes Werk, das hier ausgestellte „Excitement is not part of my Feeling Repertoire“, werde ich nicht näher eingehen. Lieber möchte ich dieses Erlebnis Ihren Gefühlen und ihrem Wissen überlassen, oder wie man es modern, in der Sprache der Filmserien sagt, ich möchte ihr Erlebnis nicht spoilen. Ich kann Ihnen aber versichern, dass sie alle Elemente, die die Kunst von Rhona Mühlebach ausmachen auch in diesem Werk antreffen werden: Witz, Poesie und irritierende Fragestellungen. Und wahrscheinlich wird es ihnen ergehen wie mir: Nach dem Betrachten dieses Werkes wird Excitement sehr wohl zu ihrem Gefühlsrepertoire gehören und vielleicht bekommen sie sogar feuchte Hände…
Es bleibt mir nur noch, Rhona Mühlebach für das bisher erreichte zu gratulieren und zu danken und ihr für ihren weiteren künstlerischen Weg alles Gute und viel Erfolg zu wünschen.
Und Ihnen danke ich herzlich für ihre Aufmerksamkeit.
Thomas Krempke