MedienmitteilungAarau, März 2019CARAVAN 2/2019: Moritz HossliAusstellungsreihe für junge Kunst18. Mai –11. August 2019Aargauer Kunsthaus,
AarauGeschichten, Anekdotenoder aktuelle Ereignissedienenjeweils als Ausgangspunkte für neue Arbeitenvon Moritz Hossli (*1990). SeineCARAVAN-Ausstellung, die er alsmehrteilige Videoinstallationanlegt,kreist umden Aletschgletscherunddessen Wandel in der Zeit. Moritz Hosslithematisiert damit ganz allgemein denUmgang der Menschen mit Veränderungen der Natur.Eine Braunkohleabbaustätte in Brandenburg(Replaced Landscape, 2015), eine Gruppe von Amateurfunkern in Berlin Brandenburg(Alleeder Kosmonauten, 2016)oder diemysteriöse Gründungsnacht eines Kunstvereins im österreichischenVorarlberg(Kilo Tango Eins Drei Eins Drei, 2017); die Themen, mit denen sich Hossli in seinem Schaffen auseinandersetzt, sind sehr vielfältig. Sein Vorgehen hat Ähnlichkeitenmit dem eines Forschers, der sein „Objekt“ von vielen Seiten untersucht. Hosslis bevorzugtes Medium ist derFilm, wobei er dieses meist mit einer installativen Setzung ergänzt oder vervollständigt.Für seine Ausstellung in der CARAVAN-Reihe für junge Kunst wurdeHossli von einemEreignis inspiriert, das erstmals 2009 in den Schweizer Medien für Schlagzeilen sorgte, dessen Ursprüngeaber über 300 Jahre zurückreichen. Die Rede ist von einem Gelübde, das die Bewohnerinnenund Bewohner der Walliser Gemeinden Fiesch und Fieschertal 1678 abgelegthaben und das vom Papst genehmigt wurde. Veranlassung dafür warder Aletschgletscher, mächtigster Eisstromder Alpen,und für die Dorfbewohner durch seineAusbreitung eine ständige Bedrohung. Das Gelübde erlaubte,gegendas weitere Wachstum des Gletschers zu beten.Ab 1862wurde zusätzlich eine jährliche Prozession durchgeführt, um die Gefahr, die vom Gletscher ausging,zu bannen. Die heutigen Bewohner von Fiesch und Fieschertal sehen ihren Hausgletscherjedoch längst nicht mehr als Gefahr, sondern bedauerndessen starken Rückgang seit Ende des 19. Jahrhunderts. Der Aletschgletschter ist nicht nurein

Wahrzeichen,sondern aucheine Tourismusattraktion und für die Region eine wichtige Einnahmequelle. Folgerichtig billigte der Vatikan auf Anfrage von Herbert Walden, Präfekt des Bezirks Goms,2010dieUmkehrung des Gelübdesunddie jährliche Prozession, konntefortan unter vertauschten Vorzeichen stattfinden. Diese Geschichte, dieals Kuriosum der römisch-katholischen Kircheabgetan werden könnte, sagt viel über das Verhältnis derMenschen zur Natur und zu ihrerunmittelbaren Umgebungaus–vor allem darüber, wie sich dieses Verhältnis im Laufe der Zeit verändern kann. Hossli visualisiert diese Bedeutungsverschiebung in seiner filmischen Arbeit, indem er demProtagonisten aus der Vergangenheit einen weiterenaus der Gegenwart gegenüberstellt und die beidenvon ihrer Beziehung zum Gletscher sprechen lässt.Die konträr angelegten Sichtweisen -Angst und Bewunderung angesichts des weissen Riesen –wechseln vor unseren Augen hin und her.Hossli geht es dabei nicht um eine wahrheitsgetreue Darstellung der erwähnten Geschehnisse, sondern vielmehr um die allgemeine Frage, wieeine Gesellschaft versucht, einer Naturgewalt Herr zu werden: Mittels Religion und Glaube oder mit Wissenschaftund Technologie. Auf Letzteres weist Hossli mit seinen Drohnenaufnahmen über dem Aletsch-und Rhonegletscher hin, die sowohl dienackten als auch dievon Stoffbahnen bedeckten Eismassen zeigen. Das weisse Vlies reflektiert die UV-Strahlen und verringert damit den Schmelzvorgang. Sowohl die Gebete wie der Sonnenschutzhaben schlussendlich ein und dasselbe Ziel: demGletscherschwund Einhalt zu gebieten.Mitseiner Arbeit fällt Hossli kein Urteilüber die unterschiedlichenVorgehensweisen,sondern wirftzusätzlicheFragenauf.Das entspricht seiner künstlerischen Haltung: Er forscht und sucht dabei immerauch das ästhetische undtechnische Optimum. So sinddie Drohnenaufnahmen von einer eigentümlichen Schönheit, die Strukturendes Eises gleichen jenen der weissenVliesbahnen.Zusätzlichhat der Künstler mit einer Wärmebildkameragearbeitet und setzt damit ein wissenschaftliches Messinstrumentals thematisches Stilmittel ein.Wärmebildkameras werden sehr vielseitig verwendetund visualisieren Prozesse, die nur schwer fassbar sind, wie beispielsweise die Veränderungen von Oberflächentemperaturen. Als Brückenschlag in die Vergangenheit ist ein Gemälde eines Gletschers von Caspar Wolf (1735 -1783)in der Ausstellung zu sehen. Caspar Wolf warder erste Künstler, der sich in Begleitung von Wissenschaftlern ins Gebirge vorgewagt hat und dessen Bilder ein vollkommen neues Mass an Naturtreue aufweisen.Man könnte sich Hossli in einem der Bilder von Caspar Wolfvorstellen, jedochnicht als Teil der obligaten Reisegruppe, sonderneinige Meter hinter ihrstehendund sie bei ihren Aktivitätengenauestensbeobachtend.
Bettina Mühlebach, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Aargauer Kunsthaus