Ursula Palla

Die Abwesenheit der hellen Tage. Aus dem Schatten heraus

30. August – 13. Oktober 2019

Die Abwesenheit der hellen Tage. Aus dem Schatten heraus
Ursula Pallas Installation “empty garden” im Kunstraum Kreuzlingen und Tiefparterre

Was bleibt vom Erdengut, wenn es Stück für Stück, Zeitalter für Zeitalter abgetragen wird? Ursulas Pallas Arbeit ist stets wachsam für die grundlegende Problematik der Natur und ihrer Ausbeutung durch den Menschen. Ihre Arbeiten erinnern an eine melancholisch offensive Abrechnung mit der eigenen romantischen Naturanschauung. Die geheimnisvolle Schönheit der Natur wird in ihrem paradiesischen Zustand aufgebrochen und als Projektion, Oberfläche, Fiktion offengelegt, der wir nicht so einfach trauen können. In poetische Raumbildern oder vielmehr raumgreifenden Bilder erschafft Palla Situationen, die gleichsam Kulisse wie erzählte Geschichte sind und doch am Ende offen bleiben und dabei den bitteren Geschmack der eigenen Verantwortung in sich tragen. Auch im Kunstraum ist das eigene Erleben, die individuelle Bewegung des Betrachters innerhalb der Installation notwendiger Schritt auf dem Weg, den Palla zeichnet. Wohin wir gehen? Direkt hinein in den “empty garden”, der in halb düsteren Farben aus dem Boden erwächst. Bedrohlich schön, fragil und verlassen öffnet sich dieser Ort, in dem wir wandeln können.

Die Inspiration für ihre Arbeit fand Palla beim Besuch von Monets Garten in Giverny, einem Paradebeispiel kultivierter Natur, die zur ästhetischen Freude angelegt, bestellt, geschaffen wurde und die das exotische Gezüchtete dem heimischen Natürlichen und dem “nutzlos” Ausgesonderten vorzog. Dieser Garten als Sinnbild der exquisiten Auswahl, des Exotischen, Fremdländischen verbannte jegliche Wildpflanzen oder Unkräuter und offenbarte eine streng selektionierte Fauna und Flora als “natürliches” Ideal. Bei ihrem Besuch fand Palla heimische Unkräuter, die sich Stück für Stück ihren Platz im früheren Revier zurück eroberten. Diese ursprünglichen doch unerwünschten natürlichen Restbestände werden in Pallas Installation aufgegriffen. Es ist das eigentlich Unsichtbare, das im “empty garden” sichtbar wird: Die verdrängten und ausgerissenen Naturfasern der Erde.

Im Kunstraum Kreuzlingen sind Teile des Bodens bedeckt von dunkler Erde. Ähnlich einem brachliegenden Feld, zerstreuen sich dort fragile Brocken wie körperhafte Bruchstücke. Dazwischen streben trotzig vereinzelte Gräser, gegossene Nachbildungen, drahtig und knorrig in die stille, karge Ebene. Sie nehmen den Raum für sich ein und werfen im Halbdunkel ihren eigenen Schatten maskenhaft voraus. Zwei Videoprojektionen, seitlich an den Wänden, erweitern das Szenario: Umrisse der ausgezupften und gejäteten Unkräuter, Gräser und Gewächse aus Monets Garten sind erkennbar. Leise Geräusche sind zu hören, die an das Surren von Insekten, das Wispern des Windes zwischen verdorrten Gräsern erinnern. Ein surrealer Schattenraum konzentriert sich, Schichten, übereinanderliegen von Zeit, Ort und Material. So schweigsame und farbarm der “empty garden” vor einem liegt, so schön wirkt er, in seiner Düsternis. Trauer um etwas Verlorenes zeigt sich darin.
Im Tiefparterre setzt sich der dystopische Raum des dunklen Natürlichen fort. Spiegelplatten  liegen auf dem Boden aus, zugeschnitten in der Form von Monets Seerosenteich. Die Kontur des Sees gibt eine eigene Geh- wie Blickrichtung vor und definiert den Raum des Tiefparterres auf neue Weise. Der Besucher umrandet, umfasst, erblickt den Spiegelsee, wird zum Erkundenden in einem zuvor leeren Raum.

Pallas zweiteilige Installation zeigt eine ausgestellte Brüchigkeit. Einerseits scheinbare Idylle, andererseits Kippmoment und das Zusammenbrechen der Harmonie. Der Schattengarten ist Dystopie und zugleich: reale Möglichkeit. Die Frage der Auflösung wird gestellt, denn so wie die Farbe in Pallas Garten entschwunden ist, so entschwindet auch die Natur Stück für Stück. Ihre Arbeit macht deutlich: Seit Monet hat sich der Blick auf den Garten verändert, er ist nicht mehr unberührtes Paradies, sondern ein fast zu Ende bestelltes Land geworden, dem seine eigene Natürlichkeit durch menschliches Zutun abhanden gekommen ist. Der “empty garden” zeigt jedoch keinen unbelebten Endzustand, sondern vielmehr eine zu füllende, selbst zu imaginieren Leerstelle und wirft die Frage auf, was der Begriff des Gartens und vielmehr der Begriff des Natürlichen heute bedeuten kann. Gleich einer brach liegenden Landschaft öffnet sich dieser Garten, als blanke Möglichkeit, vielleicht nahe am eigenen Ende, aber vielleicht auch: als tief schöpfendes Atem holen vor dem nächsten großen Erwachen.

Barbara Marie Hofmann, 2019